Ergänzend zur repräsentativen Demokratie, d.h. zur Gesetzgebung durch zeitlich befristet gewählte Abgeordnete in den Parlamenten, besteht in Sachsen – wie auch in den anderen Bundesländern in jeweils unterschiedlicher Ausgestaltung – die Möglichkeit der direkten Volksgesetzgebung durch die Bürgerinnen und Bürger. Es ergibt sich dabei ein wesentlicher Unterschied zu den Parlamentswahlen, bei denen die Wähler über Personen bzw. Parteilisten entscheiden: Die direkte (plebiszitäre) Demokratie bietet die Gelegenheit, durch Abstimmungen über einzelne Gesetze bzw. Sachfragen per Volksentscheid (= „Plebiszit“ [1]) unmittelbar Landesrecht zu setzen und somit direkt politisch mitzuwirken. Der repräsentative (Um-)Weg über Abgeordnete und Parlamente entfällt also. Direktdemokratische politische Willensbildung ist – durch Bürgerentscheide – auch auf der kommunalen Ebene möglich.

Direktdemokratische Entscheidungen ergänzen in Sachsen allerdings nur punktuell die repräsentative Demokratie und bleiben faktisch Ausnahmefälle, während sie im Bund durch das Grundgesetz sogar nahezu gänzlich ausgeschlossen sind. [2] Dass es auf Landesebene seit 1990 erst zu einem einzigen tatsächlich durchgeführten Volksentscheid kam, ist auch auf die bewusst hoch gesetzten Hürden im mehrstufigen Verfahren zur Herbeiführung eines Volksentscheids zurückzuführen, durch die ein zu hohes Aufkommen verhindert wird.

Der Weg der Volksgesetzgebung in Sachsen

In den Artikeln 70 bis 73 der Sächsischen Landesverfassung (in Verbindung mit dem Gesetz über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid) ist der dreistufige Weg der sächsischen Volksgesetzgebung festgelegt (siehe Abb. 1 unten).

1. Zunächst wird ein Volksantrag beim Landtagspräsidenten eingereicht, dem ein mit Begründung versehener Gesetzentwurf samt Unterstützerunterschriften von mindestens 40.000 Stimmberechtigten zugrunde liegen muss. Der Landtagspräsident prüft dann die formellen Voraussetzungen und entscheidet auf der Grundlage einer Stellungnahme der Staatsregierung über die Zulässigkeit des Antrages.[3] Ist diese gegeben, befasst sich der Landtag in zwei Lesungen und zwischengeschalteter Ausschussüberweisung mit dem Volksantrag. Nur in dem sehr unwahrscheinlichen Fall, dass der Landtag dem Volksantrag binnen sechs Monaten ohne Änderungen zustimmt, erlangt dieser unmittelbar Gesetzeskraft.

2. Andernfalls kann der nächste Verfahrensschritt eingeleitet werden: Die Antragsteller können ein Volksbegehren (gemäß Art 72 (1) der Landesverfassung) mit dem Ziel in Gang setzen, dass der Volksantrag als Gesetzentwurf aus der Mitte der Bürgerschaft den Stimmberechtigten zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Hierzu ist innerhalb von mindestens sechs Monaten ein Quorum zu erfüllen: Es müssen mindestens 450.000 Unterstützerunterschriften der Stimmberechtigten beigebracht werden (zugleich jedoch von nicht mehr als 15 Prozent der Stimmberechtigten).

3. Ist das Volksbegehren erfolgreich, so kommt es nach drei bis sechs Monaten zum letzten Verfahrensschritt, dem eigentlichen Volksentscheid, bei der dann in der Regel kein Mindestbeteiligungs- oder Zustimmungsquorum mehr vorgesehen ist.[4] Der Landtag hat dabei die Möglichkeit, einen zusätzlichen eigenen Gesetzentwurf als Konkurrenzvorlage zur Abstimmung vorzulegen. Die Bürger haben also die Wahl, ob sie entweder dem Volksbegehren oder der Landtagsvorlage zustimmen oder aber beide ablehnen. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet, wobei grundsätzlich nur mit Ja oder Nein gestimmt werden kann.

Politische Praxis und Problematisierung

Auf Landesebene kam es bis zum Jahr 2001 zu acht Volksanträgen, aus denen vier Volksbegehren und nur ein Volksentscheid [5] hervorgingen. Bei den anderen drei Volksbegehren wurde das erforderliche Quorum von 450.000 nicht erreicht, das derzeit einem Anteil von ca. 13 Prozent aller Stimmberechtigten in Sachsen entspricht. Bürgerbewegungen und Populisten von beiden Seiten des politischen Spektrums sowie bestimmte politische Parteien fordern daher bereits seit Jahren (erfolglos) die Absenkung des Quorums für das Volksbegehren, das sich – anders als die notwendigen Unterschriften für den Volksantrag – als die in der Praxis größte Mobilisierungshürde erweist. [6] Nachdem seit 2001 lange keine Volksanträge mehr vorgelegt wurden, befand sich im Jahr 2016 im Zuge anwachsender populistischer Strömungen und der Vernetzungsmöglichkeiten durch das Internet wieder mindestens ein Volksantrag in Vorbereitung. Wie Umfragen belegen, erfreut sich die direkte Demokratie in Sachsen sowie deutschlandweit ohnehin einer hohen und tendenziell steigenden Beliebtheit mit Zustimmungswerten von aktuell ca. 80 Prozent. [7] Allerdings sind offenbar bei weitem nicht alle Bürger hinreichend über die Möglichkeiten der Volksgesetzgebung informiert. Die im Vergleich zu politischen Wahlen generell geringere Beteiligung bei Unterschriftensammlungen für Volksanträge und Volksbegehren sowie bei Volksentscheiden erklärt sich außerdem dadurch, dass häufig nur ein geringer Anteil der Bevölkerung von den konkret zur Entscheidung stehenden Gesetzen bzw. Sachfragen betroffen ist. [8]

Ein weiterer wichtiger Problemaspekt der direkten Demokratie ergibt sich schließlich daraus, dass der Demokratieverdruss vieler Bürger und der Auftrieb von Populisten vorprogrammiert ist, wenn ein Volksentscheid – als das Ergebnis unmittelbar legitimierter direkter Demokratie – im Konflikt zur mehrheitlichen Position der gewählten politischen Repräsentanten steht. So können z.B. Parlamente eine per Volksentscheid herbeigeführte Rechtslage bereits nach kurzer Zeit durch ein anders lautendes Gesetz faktisch wieder aufheben und somit nachträglich ad absurdum führen, wie dies bereits mehrfach geschehen ist. Wenn direkte und repräsentative Demokratie konfliktreich aufeinandertreffen, setzen sich in der Regel die gewählten Repräsentanten durch – allerdings um den möglichen Preis eines Vertrauensverlustes in die Demokratie aufgrund sich „verschaukelt“ fühlender Bürger.

Direkte Demokratie auf kommunaler Ebene

Unterhalb der Schwelle von Gesetzen ist in Sachsen auch auf kommunaler Ebene direktdemokratische Willensbildung möglich. Ein entscheidendes Element bilden hierbei Bürgerbegehren und Bürgerentscheide als Teil der kommunalen Selbstverwaltung. [9]

Mit einem Bürgerbegehren fordern die Bürger einer Stadt, Gemeinde oder eines Landkreises durch ihre Unterschrift eine Abstimmung (d.h. einen Bürgerentscheid) über eine bestimmte Sachfrage. Ein Bürgerbegehren muss in der Regel von mindestens 10 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung unterzeichnet sein. [10] Es muss eine mit Ja oder Nein zu entscheidende Fragestellung, eine Begründung und einen Kostendeckungsvorschlag der vorgeschlagenen Maßnahme enthalten. Beschließt der Gemeinderat die im Bürgerbegehren geforderte Maßnahme nicht, eröffnet sich die Möglichkeit des Bürgerentscheids. [11]

Zum Gegenstand eines Bürgerentscheides können alle Fragen werden, für welche die jeweilige kommunale Vertretungskörperschaft (z.B. Gemeinderat) zuständig ist. Ausgeschlossen sind allerdings einige haushaltsrelevante Themen. Beim Bürgerentscheid gilt das Prinzip „Mehrheit entscheidet“, allerdings muss diese Mehrheit der abgegebenen Stimmen mindestens 25 Prozent der Stimmberechtigten umfassen. Verglichen mit dem Volkbegehren auf Landesebene ist das beim Bürgerentscheid geforderte Zustimmungsquorum somit fast doppelt so hoch. Wahlenthaltungen wirken im Sinne einer Ablehnung des Bürgerbegehrens. Ein Bürgerentscheid kann innerhalb von drei Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid, nicht aber durch Gemeinderatsbeschluss abgeändert werden.

Bis Anfang 2016 kam es in Sachsen zu 348 Bürgerbegehren (von denen 100 das Quorum verfehlten oder formal unzulässig waren) und in der Folge zu 156 Bürgerentscheiden (108mal erfolgreich, 48mal gescheitert). [12] Die übrigen Fälle erledigten sich überwiegend durch Kompromisse bzw. vorweggreifende neue Beschlüsse der Vertretungskörperschaft. Als der bislang am stärksten auch überregional beachtete Bürgerentscheid in Sachsen erwies sich die Abstimmung über die Elbquerung „Waldschlösschenbrücke“ im Jahr 2005, bei der die Dresdner mehrheitlich einer Brückenlösung zustimmten.

Eine weitere Möglichkeit der Einflussnahme auf kommunalpolitische Entscheidungen stellt der Einwohnerantrag dar. Durch ihn kann erreicht werden, dass der Gemeinderat ein aus Sicht der Einwohner wichtiges kommunalpolitisches Thema innerhalb von drei Monaten behandeln muss. Der Antrag muss i.d.R. von mindestens zehn Prozent der Einwohner, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, unterzeichnet sein. [13] Einbezogen werden neben den deutschen Jugendlichen ab 16 Jahren auch die Nicht-EU-Ausländer ab dieser Altersgruppe. Der gleiche Personenkreis, der einen Einwohnerantrag stellen kann, ist auch befugt, mit dem gleichen Quorum wie beim Einwohnerantrag vom Gemeinderat die Einberufung einer Einwohnerversammlung zu verlangen. Bei dieser Versammlung müssen Gemeinderat und Bürgermeister den Einwohnern zum Gespräch zur Verfügung stehen.

(Stand: August 2017)

Quellen

[1] „Direktdemokratisch“, „plebiszitär“, „unmittelbar“ bzw. „sachunmittelbar“ werden als alternierende und nahezu bedeutungsgleiche Begriffe verwendet. Zu unterscheiden ist bei Plebisziten grundsätzlich zwischen den seitens der Bürger angestoßenen Initiativverfahren (um die es bei der Volksgesetzgebung in Sachsen geht) und denkbaren politischen Referenden, die seitens der politischen Führung angesetzt werden könnten. Keinesfalls ist mit direkter Demokratie die in einem Flächenstaat organisatorisch ganz unmögliche Versammlungsdemokratie gemeint.

[2] In Art. 29 GG ist lediglich für die Neugliederung des Bundesgebietes (z.B. beim angestrebten Zusammenschluss von Bundesländern) das Instrument des Volksentscheides vorgesehen.

[3] Entgegen Art. 73 (1) der Sächsischen Landesverfassung wurde durch ein Urteil des (generell direktdemokratiefreundlichen) Sächsischen Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr 2002 entschieden, dass auch Volksanträge mit finanziell bedeutsamen Gesetzentwürfen nicht deren Zulässigkeit ausschließen.

[4] Lediglich bei verfassungsändernden Gesetzen ist als Zustimmungsquorum die Mehrheit der Stimmberechtigten vorgeschrieben (vgl. Art. 74 (3) Landesverfassung).

[5] Im Jahr 2001 fand ein erfolgreicher Volksentscheid zur Änderung des Sparkassengesetzes statt, dessen Zustandekommen wesentlich von einer Bürgerinitiative betrieben worden war. Der Landtag relativierte jedoch das aus dem Volksentscheid hervorgegangene Gesetz später durch ein neues Gesetz.

[6] Mit dem faktischen „13 Prozent-Quorum“ für das Volksbegehren liegt Sachsen bundesweit im Mittelfeld. Die Linken und die Grünen forderten bislang vergeblich die Absenkung des sächsischen Quorums. Das Spektrum der entsprechenden Quoren in den anderen Bundesländern bewegt sich derzeit zwischen 4 und 20 Prozent.

[7] Vgl. z.B. Überblicksdarstellung der Umfrageergebnisse von Forsa, Infratest und Emnid unter https://de.wikipedia.org/wiki/Direkte_Demokratie_in_Deutschland (Abruf August 2017).

[8] Im Durchschnitt aller Bundesländer nehmen nach Angaben der Initiative „Mehr Demokratie“ lediglich 34,7 Prozent der Stimmberechtigten an Volksentscheiden teil, die nicht gleichzeitig mit politischen Wahlen stattfinden.

[9] Demgemäß finden sich die nachfolgend erwähnten Regelungen v.a. in der Sächsischen Gemeindeordnung bzw. in der Landkreisordnung.

[10] In der jeweiligen Hauptsatzung kann auch ein geringeres Unterschriftenquorum festgelegt sein, das aber nicht weniger als fünf Prozent betragen darf. Bis 2013 hatte das erforderliche Quorum für das Bürgerbegehren noch bei 15 Prozent gelegen.

[11] Außer durch ein Bürgerbegehren kann die Durchführung eines Bürgerentscheides auch durch einen Beschluss des Gemeinderates mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder herbeigeführt werden.

[12] Diese Daten sind der Datenbank der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie an der Universität Marburg entnommen und erheben keinen Anspruch auf absolute Vollständigkeit und Richtigkeit, kommen aber der Realität sehr nahe.

[13] Auch hier können die Gemeinden in ihrer Hauptsatzung das Quorum auf fünf Prozent senken.

Abb. 1: Volksgesetzgebung in Sachsen